* 18. Januar 1903
† 17. Oktober 1996
von Michael Struck
Essay
Eine rein werkchronologische Darstellung von Berthold Goldschmidts Schaffen wäre in zweifacher Hinsicht problematisch: Zum einen war sein Komponieren starken geschichtlich-ästhetischen Verzerrungen und biografischen Brüchen ausgesetzt, zum anderen ist sein mehr als 70 Jahre umfassendes Œuvre trotz und wegen solcher verformender Einwirkungen durch unverkennbare Konstanten gekennzeichnet. Zweifellos war die künstlerische Vita des Komponisten und Dirigenten Goldschmidt davon geprägt, dass der Zweiunddreißigjährige Ende 1935 vor dem nationalsozialistischen Terror aus Deutschland nach England fliehen musste, wo er 1947 britischer Staatsbürger wurde; sicherlich lassen sich bestimmte kompositorische Entwicklungen, Veränderungen und vor allem Stockungen – bis hin zum mehr als 20jährigen Verstummen als Komponist – unter dem Blickwinkel der erzwungenen Emigration oder als „Musik aus dem Exil“ erörtern. Doch darf die Rezeption seines Schaffens nicht auf diesen Aspekt reduziert werden. Denn so wichtig er für die Wiederentdeckung dieser Musik war, würde er maßgebliche Grundprägungen seines Schaffens verfehlen und könnte – auf längere Sicht – die Frage nach den künstlerischen Qualitäten seines Komponierens in den Hintergrund drängen. Wenn beispielsweise im String Quartet No. 2 (1936), dem ersten in England vollendeten Werk, der langsame Satz Folia (Elegy) durchgehend auf einer ostinaten melodisch-rhythmischen Formel basiert, also von besonderen ...